Anders als andere Menschen, die hier nicht benannt werden sollen, habe ich nicht nahe am Wasser gebaut. Im Kino weine ich so gut wie nie und habe selbst in den traurigsten Filmen höchstens einmal feuchte Augen (zuletzt überraschenderweise bei Guardians of the Galaxy Volume 3). Aber es gibt drei Filme, bei denen ich bei jeder Sichtung Rotz und Wasser heule: Das Reich der Sonne, Ist das Leben nicht schön? und Fearless.
Als letzterer vor wenigen Wochen ins Programm von Prime Video aufgenommen wurde, landete er sofort auf meiner Watchlist. Nun heißt es, dass er schon bald wieder verschwinden soll, also musste ich ihn mir anschauen.
Fearless – Jenseits der Angst
Max (Jeff Bridges) überlebt nahezu unverletzt einen Flugzeugabsturz und rettet sogar etlichen Menschen dabei das Leben. Dieses Ereignis lässt ihn das Leben völlig neu und intensiver erleben, mehr noch: Er hat jegliche Angst verloren. Obwohl allergisch, isst er Erdbeeren, ohne daran zu ersticken, und er überquert einen Schnellstraße, ohne überfahren zu werden, weil er sich für unverwundbar hält. Seine Frau Laura (Isabella Rossellini) findet sein Verhalten zunehmend bizarr, zumal er sich von nun an auch weigert zu lügen. Die beiden entfremden sich immer mehr. Ein Therapeut (John Turturro) bringt Max schließlich mit Carla (Rosie Perez) zusammen, einer weiteren Überlebenden des Unglücks, die dabei ihren zweijährigen Sohn verloren hat und unter schweren Depressionen und Schuldgefühlen leidet.
In seinen ersten Filmen, insbesondere in Picknick am Valentinstag, aber auch in Die letzte Flut, kreierte Regisseur Peter Weir eine mystische Atmosphäre, der man sich als Zuschauer nur schwer entziehen kann. Der Anfang von Fearless greift diese Elemente auf, lässt Max mit einem Baby auf dem Arm und einem Jungen an der Hand wie eine Inkanation eines Christopherus in einem nebelverhangenen Maisfeld auftauchen, begleitet von der geheimnisvollen Musik Maurice Jarres, um dann in den sehr realen Alptraum einer Absturzstelle überzublenden. Auf kontemplative Momente folgen das pure Chaos und der Schmerz einer Mutter, die gerade ihr Kind verloren hat. Es ist ein Anfang, der ungeheuer dicht, packend und eindringlich ist.
Dass etwas nicht mit Max stimmt, wird schnell klar, da er leugnet, überhaupt im Flugzeug gewesen zu sein, und sich von der Unglücksstelle entfernt, um mit einem Mietwagen zu einer in der Nähe wohnenden Freundin zu fahren. Aber Max verdrängt nicht, was ihm, der vorher unter starker Flugangst gelitten hat, widerfahren ist, er betrachtet den Absturz beinahe als das Beste, was ihm je passiert ist. Ein Geschenk des Schicksals.
Rafael Yglesias, der hier als Drehbuchautor seinen eigenen Roman adaptiert, greift in Fearless das Dilemma des modernen westlichen Menschen auf, der zwar ein Leben in materieller Sicherheit führt, aber von allerlei Ängsten geplagt ist. Es geht insbesondere um die Angst vor dem Tod, dem die Passagiere der Unglücksmaschine ins Auge blicken mussten, um spirituelle Themen wie die Frage nach dem Jenseits und um den Sinn des Lebens. Die großen Fragen des Lebens also.
Max, ein durchschnittlicher Amerikaner, ein erfolgreicher Architekt, Familienvater und Ehemann, gerät durch die Ereignisse in eine tiefe Sinnkrise, die er jedoch nicht begreift. Sein Verhältnis zum Leben verändert sich fundamental, nachdem er im Augenblick des Absturzes seinen Tod akzeptiert, geradezu umarmt hat. Er ist gestorben, und daher kann ihm nun nichts mehr etwas anhaben, weder Erdbeeren noch Autos können ihn verletzen. Insgeheim weiß er jedoch, dass er sehr wohl noch am Leben ist, dass seine Ängste zurückkehren, weshalb er alles versucht, um diesen Moment des Friedens, den er im Augenblick des Absturzes erfahren hat, aufrechtzuerhalten.
Damit begibt er sich auf Konfrontationskurs mit seiner Umwelt. In einer Nebenhandlung, die eher eine groteske Komödie ist, versucht ein findiger Anwalt (Tom Hulce), eine möglichst hohe Entschädigung für Carla, Max und die Witwe seines besten Freundes und Geschäftspartners, der beim Absturz ums Leben gekommen ist, herauszuholen. Doch Max will die üblichen Spielchen nicht mitmachen und reagiert zynisch. Diese absurd-komischen Augenblicke stehen in einem scharfen Kontrast zum Rest, lockern die an sich ernste Geschichte aber auch auf.
Fearless will vieles sein, ein kontemplativ-philosophisches Werk über Leben und Tod, das Psychogramm zweier geplagter Seelen, Ehedrama und absurde Komödie, das ist eine gewagte Mischung, die jedoch erstaunlich gut funktioniert, weil der Film eine Reihe bemerkenswerter, teilweise sogar magischer Szenen besitzt. Und auch die Bilder vom Flugzeugabsturz, der zuerst nur kurz, gegen Ende aber in voller Länge zu sehen ist, sind von einer Intensität und emotionalen Wucht, die ihresgleichen suchen.
Rosie Perez liefert in diesem Film die Leistung ihres Lebens ab und ist auch das Herz der Story, denn dem abgeklärten Max, der nicht von dieser Welt zu sein scheint, kommt man nicht sehr nahe. Jeff Bridges spielt ihn wie immer großartig, mit verschmitzter Sanftmütigkeit und Leidenschaft, aber eben auch distanziert. Doch Carla und Max brauchen einander nicht nur, sie ergänzen sich sogar, und wie sie zum Schluss ins Leben zurückfinden, ist meisterhaft erzählt.
Fearless war vor dreißig Jahren nicht sehr erfolgreich und hatte bei uns nur etwas über 90.000 Besucher. Ich war einer davon, habe den Film seither nie vergessen und immer noch etliche Szenen und Details daraus präsent. Für mich einer der besten Filme der Neunziger.
Note: 1-