Die Tatsache, dass der jüngste Film des Franchises Kapitel 4 im Untertitel trägt, beweist, dass alle Teile eine einzige, lange Geschichte erzählen, die mit der Ermordung eines Hundes begann. Erfreulich ist, dass die Produzenten daraus keine Streamingserie gemacht haben, sondern die Filme ins Kino bringen. Wobei: Die Spin-off-Serie The Continental startet noch in diesem Jahr …
Das Konstrukt der Filme ist immer gleich: Der ehemalige Auftragsmörder John Wick muss sich einer gewaltigen Überzahl schwer bewaffneter Gegner erwehren, die er auf brutale, aber künstlerisch inszenierte Weise ins Jenseits befördert. Um den Coolness-Faktor zu erhöhen und dem Ganzen einen besonderen Touch zu geben, ist die Geschichte eingebettet in einer Welt der legendären Auftragsmörder, die in einer mythischen Organisation mit strengen Regeln und Gesetzen miteinander verbunden sind. Fertig ist die Welt von John Wick.
John Wick: Kapitel 4
John Wick (Keanu Reeves) ist immer noch wütend, weil die Hohe Kammer einen viel zu hohen Preis für seine Freiheit verlangt hat, den er nicht zu zahlen bereit war. Deshalb tötet er den Ältesten und ruft damit einen neuen Gegenspieler hervor: Der Marquis de Gramont (Bill Skarsgård) lässt sich Sonderbefugnisse erteilen und verspricht dafür Wicks Kopf. Zuerst sprengt er das Continental in New York, dann beauftragt er Wicks Freund und ehemaligen Kollegen Caine (Donnie Yen) mit dessen Ermordung, und da immer noch ein hohes Kopfgeld auf Wick ausgesetzt ist, wird die Zahl der Gegner nicht geringer.
Vielleicht sollte man sich Kapitel 3 noch einmal ansehen, um besser in dieses neue Abenteuer hinzukommen, denn die Autoren Michael Finch und Shay Hatten verschwenden keine Zeit für lange Erklärungen oder Rückblenden. Da Loyalität wie alles andere auch in der Welt der Auftragsmörder ihren Preis hat, ist es nicht einfach, sich daran zu erinnern, wer Freund und wer Feind war. Zumal mit Caine und Koji (Hiroyuki Sanada) wieder neue, alte Freunde auftauchen.
Aber letzten Endes ist es vielleicht auch egal, welche Wendungen die Geschichte in der Vergangenheit genommen hat, denn zu Beginn jedes neuen Films steht der Held immer einem hoffnungslos überlegenen Gegner gegenüber, der ihn leiden lässt. John Wick war schon immer ein Schmerzensmann, dessen Verletzungen im Kampf nie so verheerend waren wie der Kummer um den Verlust seiner Frau. Im Grunde will er nur in Ruhe trauern, aber die auf Blut und Vergeltung beruhenden Gesetze der Hohen Kammer sowie der Ehrenkodex ihrer Mitglieder, dem sich auch Wick verpflichtet fühlt und der vor allem auf Rache basiert, lassen ihm keine Wahl. Wenn die Filme eine Botschaft beinhalten, dann die, dass Vergebung in einer solchen Welt nicht möglich ist. Außer vielleicht im Tod.
So sieht man in den ersten Bildern von Kapitel 4, wie Wick sich im verbissenen Training die Fäuste blutig schlägt, wissend um die Dinge, die da kommen werden. Von Anfang an war er ein zögerlicher Held, der zwar Rache eingefordert hat, aber auch bereit war, Frieden mit seinen Feinden zu schließen. Anders als viele seiner Gegner tötet Wick aus Notwendigkeit, nicht zum Spaß, und er war stets bereit, einen hohen Preis zu zahlen: Wenn er früher in den Showdown gezogen ist, war er immer verletzt, zerschlagen und beinahe am Ende.
Dies ist nun anders: Wick steht im Kugelhagel, wird öfter von Autos angefahren als ein Crash-Test-Dummie und erleidet mehrere Stürze, die jeden anderen in den Streckverband oder auf den Friedhof befördert hätten. Doch Wick steht nur auf, schüttelt die Kugeln aus seinem mit Kevlar verstärkten Jackett und hat kaum einen Kratzer. Konnte man früher mit ihm mitleiden und beinahe seine Wunden zählen, ist der nun ein Mann aus Stahl, bei dem man sich nicht wundern würde, schösse er plötzlich wie eine Rakete in den Himmel. Aber das ist ein anderer Film.
Natürlich waren auch die ersten Teile immer märchenhaft überhöht, und einen realistischen Anspruch sollte man bei dieser Art von Film sowieso nicht erwarten, aber zumindest ansatzweise die Einhaltung der physikalischen Gesetze. Umso ärgerlicher ist es, dass die Autoren auf diese Weise die Figur beschädigen und das Finale unterminieren.
Leider beschränken sich die hemmungslosen Übertreibungen nicht nur auf die Hauptfigur, auch der blinde Auftragsmörder Caine, der im Kampf jeden seiner zahllosen Gegner mit übermenschlicher Präzision trifft, aber ohne Stock keine zehn Schritte laufen kann, ist eine Figur, mit der man nur schwer warm wird. Dabei braucht es derlei Mätzchen nicht, um interessante oder vielschichtige Figuren zu schaffen.
Die Schwächen des Films liegen vor allem im Drehbuch, an dem erstmals nicht Derek Kolstad beteiligt war. Es gibt einige unnötige Wendungen, etwa die gesamte Berlin-Episode mit ihren teilweise bizarren Einfällen, von denen man nicht weiß, ob sie schlecht geklaut oder nur schlecht umgesetzt sind. Der Marquis bleibt als Gegenspieler viel zu blass, und Skarsgård liefert die vielleicht schwächste Leistung seiner Karriere ab, und auch von Winston (Ian McShane) und dem Bowery King (Laurence Fishburne) gibt es nicht einen bemerkenswerten Auftritt. Schließlich gesellt sich mit Mr. Nobody (Shamier Anderson) noch eine Figur zum Ensemble, bei der man sich jedes Mal fragt, ob sie sich nicht im falschen Film befindet. Immerhin hat sie einen Hund.
Regisseur Chad Stahelski ist es wenigstens erneut gelungen, einige packende Kampfszenen zu inszenieren, von denen zwei herausragend sind, die übrigen sehr solide. Mit fast drei Stunden ist der Film leider auch viel lang, und so temporeich und unterhaltsam die Actionsequenzen auch sind, weisen die Szenen dazwischen doch einige Längen auf.
Vielleicht liegt es am starken Vorgänger oder an der persönlichen Erwartungshaltung, aber Kapitel 4 ist leider so schwach wie die erste Fortsetzung.
Note: 3