Spider-Man: A New Universe war ein herausragender Animationsfilm mit einer etwas anderen Geschichte über den beliebten New Yorker Superhelden. Auch hier spielt das derzeit wohl unvermeidliche Multiversum eine große Rolle, gibt es doch eine ganze Reihe von weiteren Spider-Menschen (und Tieren), denen der Held im Verlauf seines Abenteuers begegnet.
Als bekannt wurde, dass es eine Fortsetzung geben würde, wurde auch verlautbart, dass es sich insgesamt um eine Trilogie handeln würde. In Vorbereitung auf den zweiten Teil haben wir uns daher noch einmal den ersten angesehen, der immer noch erstaunlich frisch und originell wirkt.
Überrascht war ich von der Länge der Fortsetzung, die mit 141 Minuten weit über das hinausgeht, was im Animationsbereich üblich ist. Aber der Hang zur Überlänge ist wie das Multiversum eben auch ein Trend.
Spider-Man: Across the Spiderverse
Gwen Stacy ist nach ihren Abenteuern in Miles’ Parallelwelt (die die Nummer 1610 trägt) in ihren Alltag zurückgekehrt und versucht, das Trauma ihrer Vergangenheit zu vergessen: In ihrer Welt ist ihr bester Freund Peter Parker nämlich bei einem Selbstversuch im Chemielabor zu einem gefährlichen Biest mutiert und wurde anschließend bei einem Kampf mit Spider-Gwen getötet. Ihr eigener Vater, ein Captain der Polizei, hält die Superheldin für die Mörderin und hat Rache geschworen. Als ein Schurke aus einer weiteren Parallelwelt New York heimsucht, stellt Captain Stacy ihr eine Falle. Doch Gwen bekommt unerwartet Hilfe von einer schlagkräftigen Einheit aus diversen weiteren Spider-Personen, die einer das Multiversum umspannenden Eliteeinheit angehören.
Miles vermisst Gwen, in die er sich verliebt hat, und seinen Onkel Aaron, der als Schurke Prowler den Tod gefunden hat. Seine Eltern machen sich Sorgen, vor allem weil seine schulischen Leistungen nicht mehr auf Topniveau sind, gleichzeitig hat seine Mutter große Schwierigkeiten damit, ihren Sohn, der bald auf eine Uni will, gehen zu lassen. Miles reibt sich derweil auf zwischen seinen Verpflichtungen als Sohn, Schüler und Spider-Man, der gegen einen neuen Erzfeind kämpfen muss: Spot ist ein ehemaliger Wissenschaftler, der bei der Explosion des Teilchenbeschleunigers, den Miles im Kampf gegen Kingpin zerstört hat, genetisch verändert wurde. Spot kann nach Belieben Portale in andere Welten öffnen und sorgt so für ein Ungleichgewicht im Multiversum. Das wiederum ruft die Spider-Spezialeinheit auf den Plan, zu der inzwischen auch Gwen gehört.
Es gibt einen Zusammenhang zwischen den immer länger werdenden Filmen und der gesteigerten Beliebtheit von Serien. Die Zuschauer, allen voran die jüngeren, sind breites, horizontales Erzählen inzwischen so gewöhnt, dass sie nach komplexen Geschichten und Figuren verlangen. Mit knappen, schlaglichtartig beleuchteten Storys geben sie sich gar nicht mehr ab. In der Folge werden die Filme immer länger. Unter zwei Stunden geht heutzutage fast gar nichts mehr, und immer häufiger kommt es vor, dass ein Film in zwei Hälften geteilt werden muss, weil niemand dem Publikum ein fünf- oder sechsstündiges Epos zumuten möchte. Allein in diesem Jahr gilt das für die neuen Fast & Furious– und Mission Impossible-Franchises. Und Spider-Man: Across the Spiderverse.
Tatsächlich wirkt der Film, wenn man sich seinen Aufbau ansieht, teilweise sogar wie eine Serie. Da gibt es zuerst eine Episode, die allein von Gwen und ihren Konflikten handelt, dann folgt eine von Miles, schließlich ein gemeinsames Abenteuer, bevor es endlich ins Spiderverse geht. In der Folge muss eine riesige Menge neuer Figuren vorgestellt, die meisten davon Varianten von Peter Parker, und sehr viel erklärt werden. Es gibt neue Parallelwelten, neue Gadgets und Gesetze. Die Autoren behelfen sich dabei mit eingeblendeten Informationskästchen, die so kurz zu sehen sind, dass man kaum Gelegenheit hat, sie zu lesen, was vermutlich wohl egal ist, da die jüngere Generation sowieso nicht mehr liest und einfach auf die Kraft der Bilder vertraut.
Visuell ist der Film erneut ein Meisterwerk. Wie schon im ersten Teil blitzt die besondere Rasterstruktur der Comics immer wieder durch, aber auch der Animationsstil ändert sich fortwährend und passt sich so den jeweiligen Parallelwelten an. Das ist meisterhaft gemacht und überaus kunstvoll. Es gibt sogar Hinweise auf die Realverfilmungen von Spider-Man, die ganz nonchalant in das Multiversum eingefügt werden. Alle Grenzen verwischen hier, alles ist eins.
Das macht, bei aller künstlerischen und technischen Raffinesse, das Ganze aber auch ein Stück weit beliebig. Wenn alles möglich ist, ist nichts mehr Besonders, aber das war schon von Anfang an eine Gefahr des Multiversums. So faszinierend es auch ist, die diversen Versionen von Spider-Man kennenzulernen, die mal schwarz, mal weiß, mal männlich, mal weiblich oder tierisch sind, mit der Zeit wirkt es auch ermüdend.
Hinzukommt, dass die Story in zu viele Richtungen mäandert. Dabei bleibt zwangsläufig einiges auf der Strecke, die Liebesgeschichte zwischen Miles und Gwen beispielsweise, die nicht so richtig vom Fleck kommt, oder wird zu klischeehaft erzählt, wie Miles’ Konflikt mit seinen Eltern.
Im Kern geht es jedoch um das Schicksal von Miles Morales, der im ersten Teil Ereignisse ausgelöst hat, die sich nun zu einem großen Problem entwickeln und deren Konsequenzen niemand vorhersehen konnte. Die möglicherweise sogar das gesamte Multiversum bedrohen. Hier stellt sich wieder einmal die Frage, ob wir unsere eigenen Entscheidungen treffen oder von einem unausweichlichem Schicksal gelenkt werden. Sind, bei allen Unterschieden in den diversen Parallelwelten, bestimmte Ereignisse von absolut zwingender Notwendigkeit, quasi Knotenpunkte im Netz des Schicksals? So kämpft Miles schließlich nicht nur gegen schlechte Noten, enttäuschte Eltern, diverse Schurken und Versionen seiner selbst, sondern gegen das wütende Geschick höchstselbst. Highfive mit Hamlet.
Spider-Man: Across the Spiderverse ist eine ebenso furiose Tour de Force wie sein Vorgänger, künstlerisch und technisch auf demselben hohen Niveau. Aber er enttäuscht auch ein wenig, wenngleich auf einem Level, von dem die meisten Filme nur träumen können. Er ist zu lang, schweift zu oft ab und verliert seine Kerngeschichte aus den Augen, weshalb er auch auf dem Höhepunkt abbricht, was ärgerlich ist, denn es wäre nicht nötig gewesen. Der Film hat keine gute Erzählökonomie.
Nachdem ich den Vorgänger noch einmal gesichtet habe, würde ich ihm heute eine glatte 2 geben, will das aber jetzt nicht mehr ändern. Daher bekommt die Fortsetzung die gleiche Note: 2-