Wer einmal Tetris gespielt hat, kommt nicht so schnell davon los. Viel schlimmer: Nach dem Spielen sieht man immer noch die bunten, sich aus vier Quadraten zusammensetzenden Puzzleteile vor Augen, die sich gleichsam in die Netzhaut eingebrannt haben. Aber es macht auch eine Menge Spaß. Und frisst eine Menge Zeit.
Es ist ein seltsamer Zufall, dass nahezu zeitgleich zwei Filme auf den Markt kommen, die zwar Bio-Pics sind, aber von Menschen handeln, die man in der Öffentlichkeit nicht kennt, und die sich in erster Linie mit Verträgen, Vermarktungsstrategien und juristischen Rangeleien beschäftigen. In Air ging es um die Mitarbeiter eines Sportartikelherstellers, die versuchen, einen Basketball-Superstar als Werbeträger zu gewinnen, Tetris handelt von den Bemühungen eines kleinen Softwareunternehmens, die Rechte an einem populären sowjetischen Computerspiel zu erwerben. Über den einen habe ich bereits geschrieben, nun ist – mit einiger Verspätung – der andere dran.
Tetris
Auf einer Spielemesse in Las Vegas wird Henk Rogers (Taron Egerton), ein in den USA aufgewachsener Niederländer, der in Tokyo lebt, auf Tetris aufmerksam, das sich bei den Besuchern großer Beliebtheit erfreut. Henk ist mit seiner Computerversion von Go nicht sehr erfolgreich, erkennt aber das große Potential von Tetris und erwirbt spontan vom amerikanischen Lizenznehmer die japanischen Rechte. Dafür muss er jedoch seine gesamten Ersparnisse investieren, seine Wohnung verpfänden, und er gefährdet auch das Überleben seiner Firma, die er mit seiner japanischen Frau Akemi (Ayane Nagabuchi) führt. Als es ihm gelingt, Nintendo als Partner zu gewinnen, die Tetris ihrem gerade entwickelten Gameboy beilegen wollen, scheint sich endlich alles zum Guten zu wenden. Henk reist nach London, um von dem Milliardär Robert Maxwell (Roger Allam) die Rechte zu erwerben, die dieser wiederum von dem Unternehmer Robert Stein (Toby Jones) bekommen hat, und stößt bald auf erbitterte Konkurrenz. Er findet aber auch heraus, dass die Russen nicht alle Rechte vergeben haben, vor allem nicht jene für Handheld-Geräte wie den Gameboy. Also macht er sich selbst auf den Weg nach Moskau.
Die Geschichte ist kompliziert. Zumindest wenn es um die Frage der Lizenzen geht. Aber Drehbuchautor Noah Pink erklärt den Sachverhalt sehr gut, und kurze Rückblenden stellen die einzelnen Fraktionen vor, so dass man schnell einen Überblick erhält. Letzten Endes konzentriert sich alles auf drei, vier Figuren, von denen Henk der klare Held ist. Er ist nicht nur sympathisch, sondern auch derjenige, der am meisten zu verlieren hat, und daher ist man von Anfang an auf seiner Seite.
Im Kern handelt die Story vom ewigen Kampf Davids gegen Goliath, in diesem Fall sogar gegen zwei Goliaths, denn Henk bekommt es zunächst mit Maxwell zu tun und dann mit den Russen und dem KGB. Maxwell ist ein geldgieriger, skrupelloser Geschäftsmann, das Schreckgespenst des Kapitalismus, der nicht nur seinen Partner Robert Stein über den Tisch zieht, sondern auch den Russen die Zahlungen verweigert. Gleichzeitig steckt er in großen finanziellen Schwierigkeiten und ist auf den Erfolg des Spiels dringend angewiesen. Man fühlt sich bei der Figur bisweilen an Trump erinnert.
Mit Kevin Maxwell (Anthony Boyle) gibt es noch einen Handlanger, der als Vertreter seines Vaters mit den Russen verhandelt und für so manchen Scherz herhalten muss. Denn Kevin ist ein arroganter Kotzbrocken und ein geradezu personifizierter Running Gag. Der Humor des Films speist sich zum einen aus der Häme, die man empfindet, wenn mächtige Menschen mit furchtbarem Charakter das bekommen, was sie verdienen, zum anderen aus der Absurdität der Situation.
Nach dem eher verzwickten Anfang, in einer Computerspiel-Analogie Level 1 benannt, gewinnt die Geschichte mit Henks Reise nach Moskau nicht nur ordentlich an Tempo, sondern auch an Humor. Die Verhandlungen, die die raffinierten Russen führen, gestalten sich beinahe wie eine absurde Boulevardkomödie mit versteckten Liebhabern und sich ständig öffnenden und schließenden Türen. Hinzukommen Spione und raffgierige Mitglieder des Politbüros, die den drohenden Untergang des sowjetischen Imperiums vorausahnen und noch schnell abkassieren können. An dieser Stelle wird Tetris politisch, und am Ende mischt sich sogar Gorbatschow (Matthew Marsh) persönlich ein.
So absurd die Ereignisse auch wirken mögen, sie sind größtenteils tatsächlich wahr. Natürlich werden die Details etwas ausgeschmückt, und ob all die Erpressungs- und Bestechungsversuche, die Intrigen und Kabalen genau so passiert sind, ist auch zweifelhaft, in jedem Fall ist die Geschichte enorm unterhaltsam. Gegen Ende, wenn Henk und seine Verbündeten von Nintendo sich mit ihrem gefährlichen russischen Widersacher anlegen und vor dem KGB auf der Flucht sind, nimmt die Story sogar Anleihen bei einem zünftigen Agententhriller.
Alles in allem ist Tetris eine klassische Underdog-Geschichte, die mit viel schrägem Humor, leicht überdrehten Figuren und einem gehörigen Schuss Spannung erzählt wird. Sie rechnet mit einer Welt ab, die in zwei gegensätzliche Lager geteilt ist, die sich aber ähnlicher sind als man glaubt, denn in beiden fungiert die menschliche Gier als entscheidende Triebkraft. Dieser setzt Henk Ehrlichkeit, Anstand und Moral entgegen, wenn er sich dafür stark macht, dass der Entwickler von Tetris, Alexei Paschitnow (Nikita Jefremow), einen gerechten Anteil an der Vermarktung seiner Idee bekommt. Und dass Regisseur Jon S. Baird in seiner Inszenierung immer wieder Anleihen bei der pixeligen Videospielästhetik der Achtziger und Neunziger nimmt und sogar seine Verfolgungsjagd mitunter wie ein Computerspiel aussehen lässt, ist das Sahnehäubchen obendrauf.
Leider läuft Tetris nicht im Kino, sondern nur bei Apple+, im direkten Vergleich mit Air ist es aber klar der bessere und unterhaltsamere Film.
Note: 2-