„Ich bin auf Netflix auf der Suche nach einem Western“, heißt es in einem Song von AnnenMayKantereit, und neulich traf das auch auf mich zu. Auf meiner Watchlist stand schon sehr lange Feinde – Hostiles, und als ich ihn mir endlich ansehen wollte, weil mir der Sinn nach einem Neo-Western stand, war er verschwunden. Tja, dumm gelaufen.
Auf meiner Watchlist stand jedoch noch ein anderer, allerdings schlechter bewerteter Western, und weil ich keine Lust hatte, meinen Abend damit zu verbringen, nach einer besseren Alternative zu suchen, habe ich mich dafür entschieden.
The Harder They Fall
Als Junge musste Nat Love (Jonathan Majors) erleben, wie der berüchtigte Gangster Rufus Buck (Idris Elba) seine Eltern tötet und ihm ein Kreuz in die Stirn ritzt. Gut zwanzig Jahre später hat Nat alle getötet, die am Mord seiner Eltern beteiligt waren, außer Buck selbst, der lebenslänglich im Gefängnis sitzt. Da er dort unerreichbar ist, gibt Nat seine Rache auf und will seine Ex-Freundin Mary Fields (Zazie Beetz) heiraten, die eine Reihe von Saloons betreibt und nicht daran denkt, ihre Freiheit aufzugeben. Zusammen mit Pickett (Edi Gathegi) und Beckwourth (RJ Cyler) hat Nat zudem seine eigene Gang und überfällt ausschließlich andere Räuber. Als sie einer Bande die Beute aus einem Banküberfall abnehmen, erfahren sie, dass diese für Buck tätig sind – der gerade begnadigt wurde …
The Harder They Fall ist nicht nur ein Neo-Western, sondern auch das Langfilmdebüt des britischen Singer-Songwriters Jeymes Samuel und zudem ausschließlich mit Afroamerikanern in den Haupt- und den meisten Nebenrollen besetzt. Damit hat er einiges mit Posse – Die Rache des Jessie Lee gemeinsam, der vor genau dreißig Jahren erschienen ist. Dieser war zwar nicht Mario van Peebles Langfilmdebüt, aber immerhin sein zweiter Film, auch er hatte eine rein schwarze Cast und einen ungewöhnlichen Stil. MTV-Stil nannte man die betont coole und stylishe Bildsprache damals, die von Musikvideos inspiriert war.
Stylish und ultracool in Szene gesetzt ist auch The Harder They Fall, und die Story erinnert bisweilen an Tarantinos Gangsterfilme. Gleich zu Beginn des Films informiert eine Schrifttafel darüber, dass die gezeigten Ereignisse zwar fiktiv, einige Figuren jedoch historisch belegt sind. Nat Love war beispielsweise ein Cowboy, der mit seiner Autobiografie zu einigem Ruhm gelangt ist. Rufus Buck war tatsächlich ein berüchtigter Gangster, der ein unrühmliches Ende fand. Es scheint, als hätten Samuel und sein Co-Autor Boaz Yakin jeden historisch belegten afroamerikanischen Outlaw und Cowboy für ihre Geschichte bemüht, die in ihrem Kern eine Rachestory ist.
In einer Zeit, in der der amerikanische Westen wild und gesetzlos war, war Selbstjustiz alltäglich. Gleich nach der Tötung der Eltern und einem Zeitsprung von zwanzig Jahren sehen wir, wie Nat Rache am letzten lebenden Mitglied der alten Rufus Buck Gang nimmt, passenderweise in einer Kirche. „Die Rache ist mein“, legt Nate offenbar sehr eigenwillig aus. Dass er sich danach zur Ruhe setzen und heiraten will, gehört ebenfalls zu den klassischen Plotmustern, vorzugsweise eines Gangsterfilms. „Just when I thought I was out … they pull me back in“, wusste schon ein gewisser Herr Corleone.
Neben der epischen Rachestory gibt es noch eine ganze Reihe von Nebenplots, die erklären, wer die Figuren sind, wie sie ticken und wie sich schließlich ihre Wege kreuzen. Diese verschachtelte Erzählweise erinnert ebenfalls an Tarantino und erfüllt nur allzu gut ihren Zweck: Man wird dabei nicht nur angenehm unterhalten, sondern kann auch schnell Gut und Böse unterscheiden. Zu den vielen Figuren, die eine größere Rolle spielen, gehören auch die historische Figur Cuffee (Danielle Deadwyler), eine schwarze Frau, die sich als Mann verkleidet. Ob dies aus der reinen Notwendigkeit heraus geschieht oder Ausdruck ihrer Geschlechtsidentität ist, wird leider nicht so recht klar. Das macht den Film allerdings nicht notwendigerweise zu einem woken Western. Mit Trudy Smith (Regina King) wird zudem noch eine weitere Revolverheldin eingeführt, doch diese Figur ist fiktiv und soll wohl als Gegengewicht zu Stagecoach Mary dienen.
In der ersten Hälfte macht der Film fast alles richtig. Der Anfang ist spannend und rätselhaft, die dahinterstehenden Motive für Bucks Gräueltat erfährt man allerdings erst ganz am Ende in einem überraschenden Twist, der gut zum Rachemotiv der Geschichte passt. Die Figuren werden interessant geschildert, und der stylishe Look ist gefällig. Auch der atypische und anachronistische Soundtrack, der mit seinen Rap-, Reggae- und R&B-Stücken einen Querschnitt schwarzer Musik präsentiert, fügt sich überraschend harmonisch in das Gesamtkonzept ein.
Doch den Autoren unterlaufen auch einige blöde Patzer: So wirkt Bucks Begnadigung völlig unglaubwürdig. Welcher weißer Gouverneur würde einen schwarzen Gangster, der mehrfach die Personifikation des Teufels genannt wird, freilassen, um einen korrupten Armee-Offizier zur Strecke zu bringen (einer der Nebenplots zu Beginn)? Und später treffen die Helden eine so offensichtlich dämliche Entscheidung, die sie völlig unnötig in nahezu unüberwindliche Schwierigkeiten bringt, dass man nur fassungslos den Kopf schütteln kann.
Immerhin gelingt es Samuel im anschließenden Showdown, genügend Spannung aufzubauen, um den inzwischen leicht genervten Zuschauer bei der Stange zu halten, aber der Film ist an diesem Punkt leider schon eine geraume Weile in Schieflage geraten. Das liegt nicht nur an schlechten Wendungen der Ereignisse, sondern auch an einer leichten Handlungsarmut in der zweiten Hälfte. Hier merkt man deutlich, dass es den Figuren an Tiefe mangelt. Ein letzter Schlenker in der Geschichte führt Nat und Cuffee in eine ausschließlich von Weißen bevölkerte Stadt, wie man sie aus unzähligen Western kennt. Nur ist diesmal tatsächlich alles strahlend weiß, vom sandbedeckten Boden hin zu den Fassaden und Innenräumen, und sogar die Kleider der Einwohner wirken relativ farblos. Muss man das witzig finden? Leider ist es symptomatisch für den Film, der mehr in mehr in seiner stylishen Pose erstarrt.
Mehr Gangsterfilm als Western, erzählt The Harder They Fall eine geradlinige Rachestory, lässt sich dabei aber ein wenig zu sehr von seinen künstlerischen Ambitionen mitreißen. Immerhin besticht er mit tollen Bildern, großartigen Darstellern und einem ungewöhnlichen Soundtrack. Wer Western mag, sollte ihm eine Chance geben.
Note: 3