Die Fabelmans

Wenige Tage vor der Oscarverleihung kam Steven Spielbergs autobiografisch geprägtes Drama endlich in unsere Kinos, und wir waren am Starttag mit dabei. Immerhin gehört der Film zu den wenigen Produktionen, auf die ich in diesem Jahr besonders gespannt bin. Damit stehe ich – angesichts der schwachen Zuschauerresonanz – allerdings weitgehend alleine da.

Filme übers Filmemachen waren zwar noch nie große Kassenschlager, aber dies ist immerhin der neue Spielberg, der noch dazu von seinen Kindheits- und Jugenderlebnissen handelt. Auch der Trailer war visuell eindrucksvoll und versprach die typische Magie, die der Altmeister in all seinen Werken verbreitet hat und die ihn zu einem der erfolgreichsten Regisseure unserer Zeit werden ließ. Bleiben die Zuschauer zu Recht weg, oder verpassen sie hier ein weiteres Meisterwerk?

Die Fabelmans

Mit sechs geht Sammy (Mateo Zoryan) zum ersten Mal mit seinen Eltern (Michelle Williams und Paul Dano) ins Kino – und entwickelt eine Begeisterung für den Film. Als Jugendlicher (Gabriel LaBelle) dreht Sammy dann seine ersten Kurzfilme. Sein Vater, ein Ingenieur und Computerfachmann, hofft, dass es nur eine Phase ist und der Junge sich einer ernsteren Profession zuwenden wird, doch die musisch veranlagte Mutter unterstützt ihn nach Kräften. Doch dann entdeckt Sammy, dass seine Mutter ein Geheimnis verbirgt …

Die größte Schau der Welt ist der Film, der den kleinen Sammy so nachhaltig beeinflusst hat, und ich kann gut verstehen, warum, hat mich das Drama von Cecil B. DeMille selbst als Kind stark beeindruckt. Das gilt vor allem für das dramatische Zugunglück, noch mehr aber für die Art und Weise, wie die Artisten sich danach wieder aufrappeln und versuchen, den schwer beschädigten Zirkus zu retten.

Sammy ist eher von den technischen Möglichkeiten fasziniert, einen Unfall spannend und dramatisch auf die Leinwand zu bannen, und auch später zeigt er sich überaus einfallsreich, um mit den wenigen, ihm zur Verfügung stehenden Mitteln das Beste herauszuholen. Spätestens am Ende, wenn er einen Film über einen Schulausflug zum Strand kongenial nutzt, um mit den Emotionen der Zuschauer und Beteiligten zu spielen, ist aus ihm ein Regisseur geworden.

Die Fabelmans ist weitgehend eine Coming of Age-Story und handelt von einem jungen Mann auf der Suche nach dem passenden Lebensweg, hin- und hergerissen zwischen den beiden Polen, die seine Familie dominieren, zwischen dem sanften, geduldig die Welt erklärenden Vater und der impulsiven, leidenschaftlichen Mutter. Es ist aber auch die Geschichte der Mutter, Mitzi, die bereitwillig eine große Karriere als Pianistin für die Familie aufgegeben, mit Depressionen zu kämpfen hat – und ein Geheimnis hütet, das Sammy eines Tages entdeckt.

Um was es geht, soll hier nicht verraten werden, aber die Art und Weise, wie er dahinterkommt, ist großartig erzählt. Es ist eine der stärksten Szenen des Films. Gerade im ersten Drittel wirkt Spielbergs Magie noch am ehesten, entführt er uns in Sammys Welt, die mehr und mehr von den Geheimnissen des Filmemachens und der Kunst erfüllt wird. Und mit Onkel Boris’ (Judd Hirsch) Besuch erreicht der Film einen ersten dramatischen Höhepunkt und eine Lebendigkeit, die er danach leider vermissen lässt.

Aber man fragt sich als Zuschauer zu diesem Zeitpunkt auch, wohin der Film steuern wird. Geht es zunächst um Sammys Weg als Regisseur, um die Frage nach dem Wert der Kunst, gemessen an ihrem Wert für eine produktive Gesellschaft, verschiebt sich der Fokus zunehmend auf Mitzi. Der Film wandelt sich zu einem Beziehungsdrama, streift ihre Depressionen, ohne sich wirklich damit auseinanderzusetzen oder sich intensiver mit der Figur zu beschäftigen, und verliert sich ein wenig in der Aufzählung von Anekdoten. Später, mit dem Umzug nach Kalifornien, gesellen sich noch Antisemitismus, Mobbing und Religion zu dem Themenkomplex hinzu. Der Film changiert zwischen Drama und Komödie und droht dabei immer wieder, seine Balance zu verlieren.

Dass es nicht so weit kommt, ist Spielbergs Talent zu verdanken, der mit einer herausragenden Inszenierung die Schwächen des von ihm und Tony Kushner verfassten Drehbuchs zu überdecken vermag. Man fragt sich jedoch, ob der Film dieselbe Aufmerksamkeit und Würdigung erfahren hätte, wenn er nicht von Spielbergs Werdegang handeln würde.

Alles in allem ein schöner, wenn auch nicht runder Film, der von einer doppelten Emanzipation handelt, dabei aber die eine Figur zugunsten der anderen vernachlässigt und der in vielen Teilen leider genau die Magie vermissen lässt, von der der Regisseur erzählt.

Note: 2-

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.