Wenn die Welt draußen kalt und ungemütlich ist, wenn Inflation, Krieg und andere Sorgen aufs Gemüt drücken, braucht man einen schönen, altmodischen Film und Süßigkeiten. Am besten beides zusammen in einem dunklen Kinosaal. Dieser Film ist genau das richtige für eine solche Stimmung, für die Süßigkeiten muss aber jeder selber sorgen.
Irgendwie ist es erstaunlich, dass es diese Verfilmung gibt, ist die Vorlage doch von 1958 und ihr Autor, Paul Gallico, aus der Mode geraten. Dabei wurden zahlreiche seiner Bücher für die große Leinwand verfilmt, eine der bekanntesten Produktionen ist wohl Die Höllenfahrt der Poseidon von 1972, der vor 16 Jahren ebenfalls neu verfilmt wurde.
Die Mrs. Harris-Romane waren vermutlich ungeheuer beliebt, sonst hätte Gallico nicht drei Fortsetzungen über die Abenteuer der Londoner Putzfrau geschrieben. Die älteren Leser erinnern sich vielleicht noch an die TV-Adaption des Stoffes mit Ingel Meysel aus dem Jahr 1982, eine amerikanische Version entstand zehn Jahre später mit Angela Lansbury, und jetzt kehrt die Geschichte wieder in die Kinos zurück.
Mrs. Harris und ein Kleid von Dior
Ada Harris (Lesley Manville) arbeitet als Putzfrau im London des Jahres 1957 und besitzt einen unerschütterlichen Optimismus und einen Sinn fürs Pragmatische. Als sie bei einer säumigen Kundin (Anna Chancelor) ein wunderschönes Dior-Kleid entdeckt, wird in ihr der Wunsch geweckt, ebenfalls etwas so Elegantes zu besitzen. Doch das Kleid kostet 500 Pfund, und selbst mit eiserner Sparsamkeit gelingt es Mrs. Harris nicht, die Summe aufzubringen. Doch mit etwas Glück, Hilfe von ihren Freunden und der Ausbezahlung ihrer Witwenrente, nachdem ihr im Krieg gefallener Mann endlich für tot erklärt wurde, schafft sie das schier Unmögliche und fährt nach Paris. Doch im Hause Dior läuft zunächst nichts nach Wunsch, was auch an der bissigen Direktrice Claudine Colbert (Isabelle Huppert) liegt. Doch Mrs. Harris findet neue Freunde, die ihr helfen …
Der Originaltitel des Films lautet Mrs. Harris goes to Paris, was wie ein alberner Kinderreim wirkt, aber zumindest klarer ist als der Titel des Romans, der ganz profan Flowers for Mrs. Harris heißt. Interessanterweise haben zwei der drei Fortsetzungen ähnliche Titel wie der Film, nur mit New York und Moskau, also dachten die Produzenten vielleicht an ein Franchise, wenn sie so optimistisch wie ihre Heldin sind.
Wer kein Gespür für altmodische, etwas betulich erzählte Filme hat, in denen nicht übermäßig viel passiert, die Menschen jedoch meistens herzensgut sind und am Ende belohnt werden, die prachtvoll ausgestattet und liebevoll in Szene gesetzt sind, braucht hier nicht mehr weiterzulesen. Alle anderen sollten sich den Film anschauen, denn er ist rundherum so entzückend wie seine Heldin.
Natürlich gibt es auch etwas zu meckern an diesem zuckrigen, märchenhaften Film. Der Anfang ist viel zu lang, und auch gegen Ende zieht sich die Handlung etwas mehr als nötig wäre. Wie Mrs. Harris an ihr Geld kommt, ist eine Erzählung für sich, mit zahlreichen Umwegen, kleinen Abenteuern und kuriosen Zufällen, über die man sonst vermutlich nur die Nase rümpfen würde. Aber hier passt alles und fügt sich wundersam zusammen, wie es sich in einem Märchen gehört.
Und als solches sollte man den Film auch betrachten. Mrs. Harris ist eine gute Seele, viel zu nett, um real zu sein, zumindest in unserer Zeit, und weil sie so gut ist, passieren ihr auch wunderbare Dinge. Wenn sie im Bahnhof übernachten muss, findet sie hilfreiche Obdachlose, die natürlich genau wissen, wo Diors Hauptquartier liegt, und guten Rotwein trinken sie auch. Vom Fenster ihrer Unterkunft blickt sie auf Sacré-Coeur und den Eifelturm, als wäre ein Kitschmotiv nicht genug. Selbst die bissige Madame Colbert besitzt letzten Endes ein gutes Herz. Und sogar das völlig vermüllte Paris (die Geschichte spielt vor dem Hintergrund eines Streiks der Müllabfuhr) sieht absolut hinreißend aus.
Darüber hinaus gibt es noch einen charmanten Filou (Jason Isaacs) in London, einen noch charmanteren Marquis (Lambert Wilson) in Paris und ein entzückendes Paar, bestehend aus einem intellektuellen Model (Alba Baptista) und einem noch intellektuelleren Buchhalter (Lucas Bravo), der ebenfalls modeln könnte. Sie alle gehören, zusammen mit der patenten Vi (Ellen Thomas) zum Freundeskreis der resoluten Putzfrau, die sich in alles einmischt wie eine neugierige Schwiegermutter, aber mit der Entschlossenheit einer guten Fee sämtliche Probleme aus dem Weg räumt. Es werden Paare verkuppelt und ein Weltunternehmen geschaffen, es geht um die Unverzichtbarkeit von Schönheit und Eleganz in der menschlichen Existenz und um französischen Existenzialismus. Diesen Spagat muss man erst einmal hinbekommen.
Dass es so wunderbar funktioniert, trotz diverser Längen und kleinerer Schwächen des Regisseurs Anthony Fabian, der auch zusammen mit Carroll Cartwright das Buch schrieb, ist allein Lesley Manville zu verdanken. Sie verkörpert Mrs. Harris auf unnachahmliche Weise mit einer Mischung aus naiver Unschuld und pragmatischer Weisheit, als eine Frau, die durch den Schrecken des Krieges mit seinen Verlusten gegangen ist, die Not und Entbehrung kennt, sich aber einen kindlichen Optimismus bewahrt hat sowie jene unerschütterliche Contenance, für die die Briten berühmt sind. Man wünscht sich, die anderen Romane um diese liebenswerte Putzfrau werden auch noch mit ihr verfilmt, und vielleicht hilft es ja, falls die Produktion am Sonntag einen Oscar für die besten Kostüme erhalten sollte.
Note: 3+