Babylon – Rausch der Ekstase

Kommenden Sonntag werden wieder die Oscars verliehen, und daher geht es in dieser Woche um drei nominierte Filme. Ich hadere immer noch, ob ich mir die Veranstaltung ansehen soll oder nicht, und werde mir aus beruflichem Pflichtgefühl wohl zumindest den Anfang anschauen und ins Bett gehen, wenn ich zu müde bin.

Vielleicht hat ja der eine oder andere Mark G.s Auftritt in Kinokino gesehen, als er zum Start von Damien Chazelles jüngstem Film interviewt wurde. Nachdem dieser in den USA weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben war, wurde er schon im Vorfeld als Flop abgeschrieben, zumal auch die Kritiken eher durchwachsen waren, und Mark G. hat versucht, diesen Eindruck zu relativieren.

Babylon – Rausch der Ekstase

Manny Torres (Diego Calva) ist ein mexikanischer Einwanderer, der 1926 von einer Karriere in Hollywood träumt. Um seinem Ziel, eines Tages beim Film zu arbeiten, näher zu kommen, lässt er sich von dem Produzenten Don Wallach (Jeff Green) als Mädchen für alles anheuern – und muss für eine seiner ausschweifenden Partys einen Elefanten besorgen. Auf der Party lernt Manny die exaltierte, frivole Nellie LaRoy (Margo Robbie) kennen, die ein großer Star sein will und dort tatsächlich entdeckt wird. Manny, der sich sofort in Nellie verliebt, hat nicht so viel Glück, bekommt aber immerhin das Angebot, als persönlicher Assistent für den Hollywoodstar und Frauenschwarm Jack Conrad (Brad Pitt) zu arbeiten, der ihm dann später die Türen zu den großen Studios öffnet.

1959 erschien Hollywood Babylon, das große Kompendium der Skandale der Traumfabrik, und avancierte zum Kultbuch, was sicherlich auch daran lag, dass es einige Jahre lang verboten war. Es scheint, als habe sich Damien Chazelle beim Schreiben seines Drehbuchs davon inspirieren lassen. Und warum auch nicht? Seit Beginn der Zivilisation sind wir Menschen von Gerüchten und Skandalen fasziniert, und auch wenn wir es nicht zugeben würden, empfinden wir eine gewisse Genugtuung dabei, Stars straucheln und fallen zu sehen. Und in Chazelles Film fallen sie alle.

Der Untertitel Rausch der Ekstase ist wieder einmal so überflüssig wie ein Kropf und so typisch deutsch, gleichzeitig bevormundend-erklärend und marktschreierisch. Dabei braucht man sich nur den Trailer anzusehen und weiß bereits, dass es um Ausschweifungen und Exzesse geht. Chazelles Film ist ziemlich voyeuristisch und scheint gerade in der Eingangssequenz sämtliche Vorurteile über das Sündenbabel bestätigen zu wollen, die die konservative Gesellschaft damals hatte. Man sieht viel nackte Haut, Alkohol (den die Prohibition verboten hatte), Drogen, sexuelle Ausschweifungen, darunter eine explizite Golden-Shower-Szene, bei der man unweigerlich an Trump denken muss, und deren Ende an Fatty Arbuckles Skandal erinnert.

Chazelle beginnt mit der klassischen Erzählung über den Aufstieg eines Nobodys zum umjubelten Star, die schon immer eine Variante des amerikanischen Traums war. Sowohl Manny als auch Nellie verkörpern diese Außenseiter, die den Zuschauer in die Traumfabrik hineinführen, wo sie zu Ruhm und Einfluss gelangen. Es ist ein Märchen, aber Chazelle lässt es dabei nicht bewenden, sondern erzählt auch von der Nachtseite Hollywoods, den finsteren Abgründen, in denen die Stars verglühen. Geschichten über Aufstieg und Fall berühmter und mächtiger Menschen hat es schon früher gegeben, meist verbunden mit einer moralischen Botschaft. Diese hier könnte lauten: Hollywood ist ein Monster, von dem man sich besser fernhalten sollte.

Deutlich wird das bereits in der allerersten Szene, in der Manny einen Elefanten zum Haus seines Bosses bringen muss. Der Weg führt über eine steile Straße, und der Wagen schafft es nicht, das enorme Gewicht zu transportieren. Ein wenig erinnert das an die Laurel-und-Hardy-Filme jener Zeit. Nur dass in einem kritischen Moment die Männer eine Menge Elefantenscheiße ins Gesicht bekommen. Und damit ist das perfekte Bild bereits gefunden: Man quält sich mit letzter Kraft zum Gipfel, doch statt Ruhm, Glück oder Erfolg wird man nur mit einem Haufen Scheiße belohnt.

Ein ähnlich drastisches Bild liefert Chazelle in der zweiten Hälfte ab, wenn Nellie einen Imagewandel vollziehen soll, von der ordinären Sexbombe zur kultivierten Dame, was in einer Katastrophe endet. Am Ende pfeift Nellie auf gute PR oder ein perfektes Image, sie steht zu dem, was sie ist, mit all ihren Schwächen und Charakterfehlern – und kotzt der feinen Gesellschaft auf den Teppich, dass die Macher von Der Exorzist dabei vor Neid erblasst wären. Nellie bleibt sich treu und geht lieber unter als sich anzupassen.

Nellie ist ein It-Girl seiner Zeit, benannt nach einem populären Roman, der erfolgreich verfilmt wurde. Die Hauptdarstellerin des Films, Clara Bow, galt als das erste It-Girl, wobei It oder das gewisse Etwas eine Mischung aus Sexappeal, Courage und Charisma bezeichnete, und ihr Leben dient in vielen Aspekten als Blaupause für Nellie. Doch die Art, wie Chazelle die Rolle angelegt hat und wie Margot Robbie sie spielt, ist Nellie ein anachronistischer Charakter. Weder ihr Aussehen noch ihre Verhaltensweisen passen in die Zeit, sondern spiegeln eher unsere Ära, unsere Ansichten und Wertvorstellungen wider. Nun kann es reizvoll sein, moderne Elemente in einen historischen Film zu integrieren, bei der Musik von Justin Hurwitz funktioniert das beispielsweise sehr gut, in diesem Fall ist es jedoch störend, zumal die Figur auch alles andere als sympathisch angelegt ist.

Was mag Damien Chazelle nur widerfahren sein, dass er über die Fressmaschine Hollywood, die sich einen Menschen einverleibt, seine Träume zermalmt und ihn am Ende als gebrochenes Wrack wieder ausspuckt, einen Film drehen wollte? Der Oscarskandal um La-La-Land? Oder geht es ihm einfach nur darum, eine längst vergangene Ära wieder zum Leben zu erwecken, die so viel freier, abenteuerlicher und wilder war als das heutige verschnarchte Hollywood?

Eine meiner Lieblingsanekdoten aus jener Zeit ist jene, in der ein Studio einen Film über eine Revolution drehen will und dafür nach Mexiko reist, um eine echte Revolution anzuzetteln und zu filmen. Diese ist erfolgreich, die Regierung wird gestürzt – aber den Produzenten sind die Aufnahmen nicht realistisch genug, weshalb sie alles nachdrehen lassen. Vielleicht ist diese Anekdote wahr, vielleicht auch nur gut erfunden, es ist auf jeden Fall der Stoff, aus dem gute Geschichten gemacht sind.

Nachdem er uns in den Sündenpfuhl geführt hat, stellt uns Chazelle die anarchistische Welt des Stummfilms vor, in dem wie in einer Fabrik ein Set neben dem anderen steht und Dutzende Stummfilme gleichzeitig gedreht werden. Es ist laut, es dreckig, es sterben sogar Menschen, um dem Größenwahn einiger Weniger Ausdruck zu verleihen, es gibt jede Menge Pannen und Katastrophen, und man braucht Mut, Einfallsreichtum und Entschlossenheit, um Karriere zu machen, aber aus all dem Dreck, der Improvisation und dem Chaos entsteht am Ende auch pure Magie. Die Bilder auf der Leinwand sind perfekt und verführen uns zum Träumen. Mit Hollywoodfilmen verhält es sich wie mit Wurst – wie sie entstanden ist, will man lieber nicht so genau wissen.

Mit dem Tonfilm kommt es dann zum großen Umbruch in Hollywood, und erneut zeigt Chazelle in einer fulminanten Sequenz den ganz normalen Wahnsinn am Set, das Chaos, die tödliche Gefahr, das Hässliche und das Schöne, die Hand in Hand gehen. Es ist eine Szene, die so leichtfüßig und brutal, so ungemein witzig und gleichzeitig traurig ist, dass man sich wünschte, der gesamte Film wäre so.

Das Problem, das Chazelle hat, ist die Fülle an Ideen unter einen Hut zu kriegen. Er will vom Aufstieg und Fall der Stars erzählen, von den gewaltigen Umwälzungen, die die Einführung des Tonfilms mit sich bringt, und nicht zuletzt von den Abgründen, die sich hinter den falschen Fassaden auftun. Aus heutiger Sicht kann man sich kaum vorstellen, was der Tonfilm damals bedeutet hat. Seine Einführung hat etliche Karrieren vernichtet, weil die Darsteller zu hohe Stimmen oder Sprachfehler hatten oder schauerliche Dialekte sprachen. Waren früher interessante Gesichter gefragt, brauchte man nun richtige Schauspieler. Die gesamte Art der Darstellung änderte sich fundamental. In Babylon wird am Rande darauf eingegangen, wenn Jack Conrads x-te Ehefrau, ein gefeierter Star am Broadway, ihm Schauspielunterricht geben will und er sie arrogant abblitzen lässt.

Kritik am unmenschlichen System Hollywood gibt es schon so lange wie die Traumfabrik selbst. Nathanael West hat in Tag der Heuschrecke darüber geschrieben, Ben Hecht hat seine Erfahrungen in Kurzgeschichten zusammengefasst. Auf jeden wahrgewordenen Traum in Hollywood kommen vermutlich Hunderte Alpträume. Hecht erzählt beispielsweise von einer jungen Schauspielerin, die nie unter Vertrag genommen wurde und sich umbringen wollte. Ein letztes Mal schminkt sie sich sorgfältig, zieht ein weißes Kleid an und legt sich auf ein mit Rosenblüten bestreutes Bett, um wenigstens im Tod über die Verachtung Hollywoods zu triumphieren. Ihre fünfzehn Minuten Ruhm sollten das Bild eines schönen, aber gebrochenen toten Mädchens sein. Doch nachdem sie eine Menge Schlaftabletten geschluckt hat, muss sie sich übergeben – und stirbt schließlich vollgekotzt mit dem Kopf in der Toilettenschüssel. Ein Bild für die Skandalpresse.

Auch diese Anekdote hätte sinnbildlich für Chazelles Film werden können. Vielleicht wäre es ein passenderer Abgang für Nellie gewesen, wenn auch kein so poetischer. Dem Zuschauer wäre es vermutlich egal gewesen, denn mit dieser Figur wird man von Anfang an nicht richtig warm. Wenn Manny sich auf der Stelle in sie verliebt, fragt man sich nur: Warum eigentlich? Nicht weil Nellie laut und vulgär ist, sondern weil sie grausam zu Manny ist, gleichgültig gegenüber jedem anderen, allerdings, und das spricht ein wenig für sie, auch gegen sich selbst.

Chazelle bietet uns eine Menge Figuren, denen man folgen soll, nicht nur die selbstsüchtige, gedankenlose und selbstzerstörerische Nellie, den naiven Manny oder den zynischen Jack, sondern auch den farbigen Musiker Sidney Palmer (Jovan Adepo) und die asiatisch-stämmige Schauspielerin Lady Fay (Li Jun Li), die beide reale Vorbilder haben. Auch ihre Geschichten wären interessant gewesen, aber sie gehen weitgehend unter in dem Krawall der Szenen, im Strom aus Elefantenscheiße, Natursekt, Alkohol und Schlangengift. Eigentlich fehlt nur noch ein Lucille-Rickson-Typ (Lucille Rickson war ein Kinderstar der Stummfilmzeit, die sich in Hollywood buchstäblich zu Tode gearbeitet hat), um die tragische Dreifaltigkeit der Opfer des Studiosystems zu vervollständigen. Doch bei aller Kritik sollte man wohl auch ein gewisses Maß an Dankbarkeit zeigen, dass Chazelle, wenn auch nur am Rande, sich zwei farbigen Außenseitern gewidmet hat.

Babylon hat zu viele Figuren, vor allem zu viele Hauptfiguren, und keine wirklich gut funktionierende Geschichte. Das Skript folgt mal dem einen, dann der anderen, hält sich bei keinem lange auf und verliert sie alle irgendwann aus dem Fokus. Dieses Herumgeeiere ist nicht hilfreich, den Zuschauer bei der Stange zu halten, die wilde Vermischung von Themen und Anekdoten auch nicht. Man fragt sich irgendwann, worum es eigentlich gehen soll. Was will Chazelle erzählen, was man nicht bereits weiß? Ein weiteres Problem ist, dass dem Film nach einer fulminanten ersten Hälfte die Luft ausgeht. Auf einmal rücken die wilden Eskapaden in den Hintergrund, und Chazelle konzentriert sich auf die Tragik seiner Figuren, die jedoch nicht zum Tragen kommt, weil man zu diesem Zeitpunkt bereits die emotionale Bindung an sie weitgehend verloren hat.

Vielleicht wäre es besser gewesen, aus dem Stoff eine Serie zu machen, in der man sich den Figuren ausführlicher widmen kann, in der Zusammenhänge deutlicher werden und sich Entwicklungen weniger sprunghaft vollziehen. Mit Figuren, die man liebt und nicht nur toleriert. Eine der vielen Weisheiten Hollywoods, die verschiedenen Regisseuren zugeschrieben wird, lautet: Ein guter Film hat zwei sehr gute Szenen und keine schlechten. Babylon hat zwei sehr gute Szenen, aber leider auch jede Menge schlechte.

Note: 3

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.