Mark G. und ich hatten neulich eine kurze Diskussion darüber, ob man den bald startenden Missing als Horrorfilm bezeichnen kann. Natürlich gibt es unterschiedliche Ausrichtungen im Genre und verschiedene „Härtegrade“ (zwischen einem eher sanften Gruselfilm wie The Others und einem brutalen Slasher wie Texas Chainsaw Massacre liegen nun mal Welten – und Ozeane aus Blut und Gedärm), aber bestimmte Elemente sollten schon enthalten sein: übernatürliche Wesen, Ereignisse oder Bedrohungen, ob diese sich nun als real entpuppen oder nicht, und genretypische Szenen, in denen der Zuschauer mit seinen Ängsten konfrontiert wird.
Der Film, um den es heute geht, ist in diesem Sinne tatsächlich ein Horrorfilm, aber eher einer der sanfteren Natur. Man könnte auch Gruselfilm sagen. Arthouse-Horror würde es vermutlich auch treffen. Wie auch immer, es ist ein weiterer Klassiker der Siebzigerjahre, den ich – anders als die beiden anderen Filme diese Woche – bereits mehrfach gesehen habe.
Wenn die Gondeln Trauer tragen
John (Donald Sutherland) und seine Frau Laura (Julie Christie) verlieren auf tragische Weise ihre kleine Tochter Christine, die im Teich hinter dem Haus der Familie ertrinkt. Seltsamerweise hat John eine gewisse Ahnung, als das Unglück geschieht, kommt dennoch zu spät, um das Mädchen zu retten. Einige Zeit später reist das Paar nach Venedig, wo John eine alte Kirche restauriert. In einem Restaurant treffen sie zufällig auf zwei medial begabte englische Schwestern (Hilary Mason und Clelia Matania), die Laura erzählen, dass sie Christine in ihrer Gesellschaft gesehen haben.
Es ist ein Film der leisen Töne, und man braucht – wie häufig bei älteren Produktionen – ein wenig Geduld. Angesiedelt im Herbst oder Winter, überwiegen in der Bildgestaltung die dunklen, gedämpften Töne, und der Nebel, der immer wieder die Aufnahmen durchzieht und seine Melancholie verbreitet, trägt wie die prächtige Kulisse des modernden, langsam verfallenden Venedigs stark zur beklemmenden Atmosphäre bei. Noch dazu handelt die Geschichte von Tod, Trauer und Verlust.
Alles beginnt mit einem tragischen Ereignis, bei dem schon viele Themen und Symbole des Films gesetzt werden: Christine trägt bei ihrem Unfall einen knallroten Regenmantel, und die Farbe Rot taucht auch später immer wieder auf, ein lebendiger, warnender und greller Kontrast zum üblichen Braun-Grau der Szenerie und gerade deshalb so eindringlich. Denn John sieht immer wieder eine in einen roten Mantel gekleidete Gestalt, die er – obwohl er nicht daran glaubt – geneigt ist, für seine tote Tochter zu halten.
Nicholas Roegs Meisterleistung liegt vor allem in der Montage (Schnitt: Graeme Clifford), in der er symbolreich und assoziativ Bilder zusammenfügt, die eine Geschichte jenseits der eigentlichen Story erzählen, in der er das Kernthema des Sehens und Begreifens variiert und auf raffinierte Weise Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander verschmelzen lässt, wodurch er Johns Wahrnehmungen und Ahnungen aufgreift und gleichzeitig eine beklemmende Atmosphäre schafft.
Während John hadert und zweifelt, findet Laura in den Ausführungen der Schwestern Trost und die Gewissheit, dass Christine zwar unwiederbringlich fort ist, aber gleichzeitig auch in ihrer Nähe, nur unsichtbar für das normale menschliche Auge. Lediglich eine der Schwestern, eine Blinde, ist in der Lage, den Schleier, der auf der Welt liegt, zu durchdringen, und sie erkennt, dass auch John über die Gabe des zweiten Gesichts verfügt.
Wenn die Gondeln Trauer tragen ist ein meisterhaftes Stück über das Sehen, über Hoffnung und Täuschung. Für den Skeptiker John ist allein Sehen Glauben, aber wie der Zuschauer lernt er, und das wird schon in den ersten Minuten angelegt, dass man dem menschlichen Auge nicht trauen darf, dass viele Dinge nicht so sind wie sie scheinen. Das gilt auch für Venedig und die Menschen, denen John und Laura hier begegnen. Das Schöne und das Groteske, das Heilige und Verderbte liegen hier dicht nebeneinander.
Neben der Gruselgeschichte und den dunklen Prophezeiungen handelt der Plot auch von einer Mordserie, denn Venedig wird von einem Serienmörder heimgesucht, und man ahnt schon bald, dass nicht alle Figuren den Film überleben werden. Dieser Teil wurde übrigens sehr schön in Wer tötete Victor Fox? persifliert.
Alles in allem ist Wenn die Gondeln Trauer tragen ein sehenswerter Klassiker der Filmgeschichte, für heutige Augen etwas zu langsam, aber immer noch atmosphärisch ungeheuer dicht, mit aufgeladener Symbolik und einigen Szenen, die man nie vergisst.
Note: 2