2017 feierte der Autor und Regisseur Francis Lee mit seinem Langfilm-Debüt God’s Own Country, einer Liebesgeschichte zwischen einem Farmer und seinem ausländischen Hilfsarbeiter, einen großen Kritikererfolg. Drei Jahre später kam mit Ammonite quasi das lesbische Gegenstück in die Kinos. Ist es der Versuch, einen Erfolg mit anderen Mitteln zu kopieren, oder verbirgt sich dahinter eine originelle Geschichte?
Ammonite
Mitte des 19. Jahrhunderts hat es Mary Anning (Kate Winslet), die Tochter eines Tischlers, mit ihren bemerkenswerten Fossilien-Funden und ihrem Fachwissen zu einiger Berühmtheit unter den Gelehrten ihrer Zeit gebracht, auch wenn ihr Name der breiten Öffentlichkeit vorenthalten wird, weil sie eine Frau ist. Als der Gentleman-Gelehrte Roderick Murchison (James McArdle) Mary in ihrem Küstenort besucht, bittet er sie, sich während einer Auslandsreise um seine kränkelnde Frau Charlotte (Saoirse Ronan) zu kümmern. Anfangs kann Mary wenig mit der blassen, depressiven Charlotte anfangen, doch mit der Zeit verlieben sie sich ineinander.
Es gibt einiges, was bemerkenswert an dem Film ist: Die Darstellung der spröden, unnachgiebigen Küstenlandschaft, die ähnlich wie das karge Weideland in Lees Debüt eine wichtige Rolle in der Erzählung spielt, korrespondiert trefflich mit Marys Charakter, der ebenfalls abweisend und schroff ist. Kate Winslet spielt Mary so verschlossen und latent wütend, dass man in manchen Szenen das Gefühl bekommt, sie würde gleich implodieren. Vor allem bei den Begegnungen mit der 20 Jahre älteren Elizabeth Philpot (Fiona Shaw) scheint in Mary ein Vulkan zu brodeln, der nur auf eine frühere, entweder unerwiderte oder gescheiterte Liebesbeziehung hindeuten kann. Aufgeklärt wird man jedoch über diese Backstory nie.
Und damit kommen wir zum Hauptproblem des Films: der Ungewissheit, die manchmal reizvoll sein kann, weil sie Raum für die eigene Fantasie lässt, aber nervtötend, wenn man als Zuschauer quasi an einem Mangel an Information verhungert. Man erfährt schlichtweg viel zu wenig über Mary und ihr mitunter rätselhaftes Verhalten.
Dabei ist die historische Mary eine faszinierende Figur, eine der ersten Paläontologinnen, deren Arbeit jedoch eher unspektakulär und vor allem mühselig war. An der Ausgrabung und Reinigung eines bedeutenden Fossils arbeitete sie beispielsweise zehn Jahre lang. Spannend ist das nicht. Zudem nimmt sich Lee einige Freiheiten: Elizabeth Philpot gehört ebenfalls zu den bedeutenden Fossiliensammlerinnen und Wissenschaftlerinnen ihrer Zeit, wird hier aber auf ihre Rolle als Hausfrau und Herstellerin einer Heilsalbe reduziert. Tracy Chevalier hat übrigens 2009 einen Roman über diese beiden Frauen veröffentlicht – der aber wohl nicht Lee als Grundlage für seinen Film diente, eher scheint er, vielleicht auch aufgrund des großen Altersunterschieds, die Figur der Elizabeth mit der Charlottes (die wie ihr Mann ebenfalls historisch belegt ist) vermischt zu haben.
Man kann sich insgesamt nicht des Eindrucks erwehren, dass man aus dem Stoff viel mehr hätte herausholen können. Viel Raum nimmt die sich unendlich langsam entwickelnde, aber trotz feuriger und expliziter Sexszenen nicht übermäßig leidenschaftliche Liebesgeschichte ein. Hier hätte sich die Gelegenheit geboten, dass Mary sich öffnet, dass man mehr über sie und ihr schweres Leben erfährt, aber das geschieht, wenn überhaupt, nur sehr oberflächlich. Da sich die Annäherung zwischen den beiden ungleichen Frauen auch relativ glatt entwickelt, mangelt es der Geschichte insgesamt an einem zentralen Konflikt.
Interessant wäre noch eine Schilderung des Verhältnisses zwischen der autodidaktisch geschulten Mary und der männlichen Wissenschaft gewesen, aber auch dieser Aspekt wird nur angerissen. Alles in allem ist der Film, trotz seiner hervorragenden schauspielerischen Leistungen und Lees Gespür für schwierige Charaktere, ziemlich ereignis- und konfliktarm, eine harmlose Liebesgeschichte, die einen weder berührt noch mitreißt, weil man keinen emotionalen Zugang zu den Liebenden findet.
Note: 3-