Fazit

Alles geht einmal zu Ende. Am letzten Tag im September (wie konnte der Monat nur so schnell vorbeigehen?) verabschiedeten wir uns von Las Vegas und fuhren nach L.A. zurück. Der Verkehr war erneut furchtbar, vom San Bernadino-Pass bis zur Haustür unserer Freunde ging es bisweilen nur im Schneckentempo voran. Um eine kleine Pause zu machen, uns die Beine zu vertreten und eine Kleinigkeit zu essen, kehrten wir bei Wendy’s in Hesperia ein.

Mark G. liebt diese Fast Food-Kette, und so wurde es auch hier ein Abschiedsessen mit einem Spicy Chicken Burger mit Backkartoffel. Als ich mit unseren Getränken in der Hand einen Tisch suchte, hörte ich plötzlich ein „Hey, Buddy!“, das mehrfach wiederholt wurde, bis ich begriff, dass ich gemeint war. Ich dachte, jemand spricht mit seinem Hund oder Kind. Es war ein Anhalter, der unterwegs in Richtung Los Angeles war. Er sah zwar einigermaßen harmlos aus, aber wir nehmen grundsätzlich niemanden mit (selbst wenn wir dafür verflucht werden wie 2009 von einem unwirschen Indianer).

Während des Essens haben wir dann unfreiwillig einiges über ihn und sein Leben erfahren können, denn er redete ohne Unterlass auf eine bedauernswerte junge Frau am Nebentisch ein, die keine Chance hatte, ihm zu entkommen. Er erzählte, dass Gott ihm zugeflüstert und befohlen habe, sein Leben zu ändern und nach L.A. zu ziehen. Meistens las er aber nur aus der Bibel vor. Am Ende waren wir froh, dass wir uns dagegen entschieden haben, ihn mitzunehmen (hauptsächlich, weil es bei einem Mietwagen verboten und außerdem nicht unbedingt sicher ist), schließlich haben wir Blues Brothers gesehen und wissen, wohin göttliche Missionen führen können.

Unser letztes Wochenende in L.A. verlief grandios unspektakulär. Wir waren in einem großen, mexikanischen Supermarkt, um ein paar Dinge für Deutschland einzukaufen, in der Hauptsache tonnenweise Maistortillas. Die gibt es zu Hause inzwischen auch, allerdings muss man sie entweder übers Internet bestellen (es gibt auch einen kleinen Laden in einem Münchener Vorort, den ich hin und wieder aufsuche) oder selber machen. Meine fallen beim Aufrollen immer auseinander, und ich überlege ernsthaft, hier einmal in einem Restaurant, in dem meist eine mexikanische Oma in der Ecke sitzt und Tortillas formt und brät, zu fragen, ob sie mir Nachhilfeunterricht gibt. Aber jetzt haben wir wieder rollfähige Maistortillas für Enchiladas. Auch ein paar andere Dinge wie Chilisaucen, die es bei uns nicht oder nur zu überhöhten Preisen gibt, wanderten in unseren Warenkorb. Und für den Abend gab es noch eine kleine Portion Ceviche.

Anschließend waren wir mit einer Freundin zu einem späten Mittagessen in einem japanischen Restaurant ganz in unserer Nähe verabredet (und mit Nähe meine ich tatsächlich nur wenige Autominuten, man könnte auch laufen, aber wer tut das schon in L.A.?). Mark G. hatte wieder Chicken Teriyaki, diesmal in der scharfen Version und als Bento Box mit Miso-Suppe, Salat und Sushi. Das Sushi im Tampopo ist ziemlich gut, fällt aber immer auch leicht auseinander, was es einem Grobmotoriker wie mir noch schwerer macht, mit Stäbchen zu essen. Ich mag, dass es dort Sorten gibt, die man bei uns schwer findet, knusperig ummanteltes Sushi oder solches, das mit Pilzen überbacken wird. Mein neuer Favorit ist aber seither Yakiniku Beef, das zwar zu den populärsten Gerichten Japans zählt, mir bislang in den diversen Restaurants aber noch nicht begegnet ist. Dieses leicht süße, würzige Grillfleisch ist einfach nur köstlich.

Wie jeden Morgen starteten wir am Sonntag mit einem Bagel und ausnahmsweise mit einem halben Donut. Ist ja immer noch Urlaub. Ein letzter Ausflug zu Costco musste auch noch sein, weil ich gehofft hatte, dort noch diese unglaublich saftigen Two-Bites-Brownies zu bekommen. Doch die gab es leider nicht. Stattdessen haben wir einen Fünfjahresvorrat an Aspirin sowie warme Jacken gekauft, weil es in Deutschland angeblich schrecklich kalt sein soll. Bei gut dreißig Grad kann man sich das hier nicht so ganz vorstellen.

Unser Ritual sah eigentlich vor, zum Mittagessen in die Cheese Cake Factory zu fahren und Chicken Salat sowie Dulce de Leche Caramel Cheesecake zu essen. Doch unsere Gastgeber wollten uns gerne zum Essen einladen – in demselben japanischen Restaurant, in dem wir am Vortag waren. Mark G. entschied sich diesmal für Ramen und Sesam-Huhn, ich hatte wieder das marinierte Rindfleisch. Schließlich werde ich das wohl ziemlich lange nicht essen können.

Am späten Nachmittag ging es ein letztes Mal an den Strand, um vom Pazifik Abschied zu nehmen. Ein wenig melancholisch wurde uns beim Blick auf den Sonnenuntergang schon ums Herz, vor allem, wenn man die letzte Wärme des schwindenden Tages spürt und weiß, dass es in Deutschland bitterkalt sein wird. Nun, vielleicht nicht bitterkalt, aber nicht warm genug, um in T-Shirt und Shorts herumzulaufen. Und weil wir nicht so ganz auf liebgewordene Rituale verzichten wollten, waren wir danach noch in der Cheesecake Factory, um Käsekuchen zu kaufen.

Damit enden unsere Abenteuer in La-La-Land. Es war ein langer (durch die Verzögerungen in der Veröffentlichung noch längerer), spektakulärer Urlaub mit vielen Höhepunkten und einigen Hürden. Unsere Corona-Erkrankung gleich zu Beginn hätte nicht sein müssen und hat uns um einige schöne Ausflüge in L.A. gebracht, aber dafür mussten wir uns danach keine Sorgen mehr wegen des Virus‘ machen.

Wenn ich ein Fazit ziehen sollte, dann kann man sagen, dass die Vereinigten Staaten sich ganz schön verändert haben. Bereits auf unserer letzten Reise 2018 unter Trump waren die Änderungen zum Negativen deutlich sichtbar, inzwischen haben aber die politische Spaltung, der Kulturkampf, die Feindseligkeiten zwischen Stadt und Land, demokratischen und republikanischen Regionen eher noch zugenommen. Man kommt immer noch leicht mit den Menschen ins Gespräch, und sie sind in der Regel nett, herzlich und hilfsbereit – bis sie plötzlich furchtbare Dinge sagen. Klima- und Coronaleugner, Trumpisten und andere Fanatiker, wir haben sie alle kennengelernt.

Im Land wächst auch die Furcht vor politisch motivierten Anschlägen. Kürzlich las ich einen Leserbrief auf einer Webseite, in dem spekuliert wurde, ob es wohl wegen der politischen Differenzen zu einem zweiten Bürgerkrieg kommen würde – oder wegen des Wassers. Als wir am Flaming Gorge Dam waren, hörten wir zufällig, wie eine Mitarbeiterin auf die Frage nach Führungen erwiderte, dass sie seit der Pandemie keine mehr anbieten würden, weil das nötige Personal fehle. Sie würde es aber auch gar nicht mehr wollen, aus Angst, jemand könnte einen Anschlag verüben, weil er wütend über die Regulierung des Damms ist und sich wünscht, die Verantwortlichen würden mehr Wasser freisetzen. Tatsächlich leidet der Westen Amerikas gerade unter einer furchtbaren Dürre und einer unerträglichen Hitzewelle. Da mag man sich gar nicht ausmalen, was in den nächsten Jahren noch auf das Land zukommen wird.

Ansonsten gibt es eine Menge Dinge, die einem (immer noch) unangenehm auffallen. Seien es die Stromleitungen, die sich kreuz und quer über die Straßen spannen, oder die vielen Obdachlosen, die ein fester Bestandteil des Straßenbilds geworden sind. Sie campieren unter Brücken, in Nebenstraßen oder mischen sich unter die Besucher der Fremont Street in Las Vegas. Manche bereiten seelenruhig den nächsten Schuss vor oder zünden eine Crackpfeife an, andere torkeln benebelt herum oder halten Schilder hoch, auf denen sie um Geld betteln.

Obwohl oder vielleicht gerade weil man immer noch sehr freundliche Amerikaner trifft, fällt besonders auf, wie rücksichtslos viele andere geworden sind. Es gibt beispielsweise sehr viel mehr Verkehrsrowdies, die einen waghalsig überholen, selbst wenn es verboten ist, die einen dabei noch beinahe von der Straße drängen oder drängeln, obwohl man bereits die Höchstgeschwindigkeit überschritten hat. Vor allem im Hochgebirge kann das fatal werden. Erstaunlich dabei ist, dass 2018 praktisch hinter jedem Busch ein Beamter der Highway Patrol oder ein Sheriff gelauert hat, diesmal haben wir auf unserer 6000 Meilen langen Reise nur vier Radarkontrollen gesehen, und drei davon waren auf der Strecke von Salt Lake City nach Las Vegas. Und wir haben keine einzige Verhaftung beobachtet, im Gegensatz zu vor vier Jahren, als es ein knappes halbes Dutzend waren. Es wirkt, als würde sich die Polizei zurückhalten. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass wir 2018 in anderen Bundesstaaten unterwegs waren.

Und wie oft habe ich mich über Menschen geärgert, die andere beim Fotografieren stören, indem sie ins Bild laufen oder auf Felsen klettern, die man gerade knipsen will. Das ist möglicherweise aber kein rein amerikanisches Phänomen.

Ein anderes Thema ist der Mangel an Servicekräften, der manchen Orts erschreckende Ausmaße angenommen hat. Den gibt es in Deutschland auch, aber ich weiß von keinem Lokal, das seine Öffnungszeiten reduziert, weil Kellner und Köche fehlen, oder das Speisen nur noch zur Abholung anbietet. Hier ist das beinahe an der Tagesordnung. Ich frage mich immer noch, wohin all die Menschen verschwunden sind, die diese Jobs noch vor einigen Jahren innehatten. Inzwischen habe ich eine Theorie: Sie arbeiten alle auf dem Bau. Keine Straße, die wir befahren haben, war ohne größere Baustelle, und auf jeder davon wimmelt es nur so von Arbeitern. Mitunter sieht man einen arbeiten, drei sehen dabei zu und drei weitere regeln den Verkehr. Und warum gleich sechs Kilometer Straße aufgerissen werden – mit allen damit zusammenhängenden Unannehmlichkeiten – obwohl man nur an einer kleinen Stelle tatsächlich arbeitet, erschließt sich mir auch nicht. Auf mich wirkt das alles ineffizient.

Am auffälligsten war jedoch der Preisschub. Natürlich schlagen hier vor allem die Auswirkungen der Pandemie (immer noch liest man, dass bestimmte Artikel aufgrund der unterbrochenen Lieferketten nicht verfügbar sind) sowie die Inflation zu Buche, und der schwache Eurokurs trägt noch einmal sein Scherflein dazu bei, dass die USA kein Land mehr sind, in dem man günstig Urlaub machen kann. Spricht man mit den Einheimischen, beklagen sich alle über die gestiegenen Lebensmittelpreise. Als Deutsche waren wir schon immer bei einem Besuch im Supermarkt geschockt, aber inzwischen sind die Preise geradezu obszön. Vor allem Obst und Gemüse sind wahnsinnig teuer geworden, was sich selbstverständlich auch auf die Qualität der Restaurantessen auswirkt. Immerhin scheinen die übergroßen Portionen auf diese Weise der Vergangenheit anzugehören.

Vor allem im touristischen Bereich sind die Preise geradezu explodiert. Wir hatten beispielsweise geplant, ein oder zwei Stunden in den heißen Quellen Colorados zu baden, waren dann aber nicht bereit, 40 Dollar pro Person dafür zu bezahlen. In Leadville wollten wir eine alte Mine fotografieren, aber der Eintritt sollte 16 Dollar kosten. Für ein paar Fotos, vermutlich ein paar Informationstafeln, auf denen man die tragisch-romantische Geschichte der Besitzer, die über Nacht unermesslich reich wurden, in Skandale verstrickt waren und dann urplötzlich verarmten, nachlesen kann, und – wenn ich mich recht erinnere – der Möglichkeit zum Goldwaschen (was mich herzlich wenig interessiert). Für eine geführte Tour zur Mine (hinein darf man nicht) und zu einer Hütte wurden sogar 28 Dollar (für zwei Personen) fällig. Ja, geht’s noch? Natürlich ist es okay, Eintritt zu zahlen oder einen Obolus für den Unterhalt zu leisten, aber im angemessenen Rahmen. Beispielsweise kostete der Eintritt in der Geisterstadt Ashcroft 10 Dollar für zwei Personen, aber dafür bekam man auch wesentlich mehr zu sehen und eine Geschichtsstunde obendrein. Geradezu schockiert war ich jedoch von der Preissteigerung in Antelope Canyon. Die Freundin, mit der wir einige Tage in Las Vegas verbracht haben, wollte im Anschluss dorthin und sich die grandiosen Slot Canyons anschauen. 2009 haben wir dafür pro Canyon 20 Dollar gezahlt, heute werden dafür zwischen 60 und 120 Dollar verlangt, je nach Tour.

Wir bereiten unsere Reisen immer akribisch vor, aber manche Dinge ändern sich einfach zu schnell. Selbst unser neuer Reiseführer, den wir zur Sicherheit immer dabei haben (die Internetverbindung mit dem Handy ist gerade auf dem Land oft nicht stabil genug, um rasch etwas online zu recherchieren), vermittelt teilweise völlig falsche Eindrücke. So wollten wir von Aspen aus eine Bustour zu den Maroon Belles, einer pittoresken Berggruppe, unternehmen, aber so einfach, wie es beschrieben wurde, ging es nicht. Statt einzusteigen, seine acht Dollar für die Tour zu zahlen und loszufahren, muss man nun möglichst am Vortag per Telefon reservieren. Und die Preise haben sich verdoppelt. Dies ist nur eines von vielen Beispielen, die selbst die sorgfältigste Planung über den Haufen werfen können. Wir haben deshalb auf einige kleinere Ausflüge oder Exkurse verzichtet, schließlich ist jedes Urlaubsbudget endlich, und manche Preissteigerungen sind schlichtweg Wucher.

Was sich auch geändert hat, ist die Anzahl der Besucher in den Nationalparks. Als wir 2005 am Grand Canyon gewandert sind, war es ein stiller, ruhiger Park, 2016 sah es an den Aussichtspunkten aus wie an einem Sommertag in Disneyland. Laute Menschenmassen drängelten sich auf den Plattformen und kämpften um die besten Plätze zum Fotografieren. Nicht ganz so schlimm, aber immer noch hoffnungslos überfüllt war es dieses Jahr in Yellowstone, Devil’s Tower, Garden of the Gods oder den Rocky Mountains. So macht das Reisen keinen Spaß mehr. Und ich glaube, Instagram trägt eine nicht geringe Mitschuld daran, denn manche (junge) Leute scheinen nur hinzufahren, sich grinsend für ihre Follower in Szene zu setzen und dann wieder zu verschwinden.

Andere Probleme sind dafür gleich geblieben. Amerikanische Toiletten sind immer noch eine Zumutung, weil sie viel zu niedrig sind. „Hobbit-Klos“, nennt Mark G. sie. Und das Toilettenpapier ist ein Kapitel für sich; inzwischen haben sie es sogar geschafft, halblagiges Papier zu produzieren, durch das man eine Zeitung lesen könnte.

Das klingt jetzt alles furchtbar negativ, aber so schlimm war es natürlich nicht. Wenn man seit Jahren die USA bereist, fallen einem jedoch viele Dinge auf, die sich zum Negativen verändert haben, in manchen Bereichen gilt das für Europa jedoch genauso. Und es gibt immer noch die grandiose Natur, die einen für jede schlechte Erfahrung mehr als genug belohnt. Deshalb denke ich, dass wir nicht zum letzten Mal in La-La-Land gewesen sind.

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in Mark G. & Pi Jay in La-La-Land 2022 und verschlagwortet mit , von Pi Jay. Permanenter Link zum Eintrag.

Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.