Mit uns die Macht war

Am ersten Tag in L.A. mussten wir unseren Mietwagen wechseln. Diesmal wollten wir unseren SUV nicht ein weiteres Mal verlängern, hatte das Auto doch zu viele Macken – und dreckig war es nach all den Wochen auch. Wenn wir jedoch gehofft hatten, endlich einen citytauglichen Kleinwagen zu bekommen, wurden wir abermals enttäuscht: Wir hatten die Wahl zwischen einem schicken (bayerischen) Sportwagen (für nur 345 Dollar Aufpreis, was sensationell günstig gewesen wäre) oder einem Mini-Van. Ich hätte keinen davon haben wollen, aber mehr Auswahl gab es leider nicht in dieser sehr kleinen Filiale.

Also waren wir nun mit einem Schlachtschiff unterwegs, in dem acht durchschnittliche Europäer oder sechs Amerikaner Platz haben (wenn man die Rückbank umklappt, könnte man sogar einen Sarg transportieren) und dessen Hybrid-Motor so leise ist, dass ich oft nicht sicher war, ob er überhaupt läuft. Aber es war saubequem, falls jemand fragen sollte, warum wir nicht den Sportwagen genommen haben.

Gleich am folgenden Tag wollten wir unser neues Auto ausprobieren, um zu The Hat zu fahren. Vor vier Jahren waren wir das erste Mal dort, um das „world famous“ Pastrami-Sandwich zu essen, und ich muss sagen, es ist für mich immer noch das beste der Welt. Es ist allerdings auch das einzige, das ich je gekostet habe. Leider ist das Lokal rund vierzig Autominuten entfernt, was für einen Amerikaner und insbesondere für Los Angelinos eine durchaus akzeptable Entfernung darstellt, die man für ein gutes Sandwich zurücklegen kann. Das wäre in Deutschland ungefähr so, als würde ich von Augsburg nach München fahren, um eine belegte Stulle zu essen. Klingt verrückt, oder? Aber, wie ich schon häufiger bemerkt habe, der Hauptunterschied zwischen einem Europäer und einem Amerikaner besteht darin, dass ersterer hundert Meilen für eine weite Strecke hält, letzterer hundert Jahre für eine lange Zeit.

Um es kurz zu machen: Wir sind dann doch mit dem (gleich großen) Auto unserer Freunde gefahren, damit unser Wagen weiterhin den Parkplatz am Straßenrand besetzt, der am nächsten Tag für die Mülltonnen benötigt wird. Anscheinend tobt hier ein Kampf um die besten Parkplätze mit den Nachbarn von gegenüber, die nicht weniger als acht Autos besitzen, und wir sind nun ein Teil davon. Das Sandwich war erneut vorzüglich, auch wenn die Präsentation zu wünschen übrig lässt. Dazu gab es Chili Cheese Fries: Pommes Frites mit einem Schlag Chili, überbacken mit Käse, was nur einem Amerikaner einfallen kann.

Es gibt hier eine ungeschriebene Regel, die lautet: „There is always room for dessert“, und so stoppten wir auf dem Rückweg bei einer Eisdiele. So ein kleines Kügelchen Eis läuft ja quasi in die Lücken, und irgendwas mit Karamell, Walnüssen und Pfirsichen geht ja auch immer. Nach Hause sind wir dann gerollt.

Die nächsten Tage verliefen ebenso ereignislos. Wir waren im Kino, um uns Barbarian anzuschauen, und sind danach zur Plaza de Mexico in Lynwood gefahren, um Ziege zu essen, eine Delikatesse, die man nur in wenigen mexikanischen Restaurants findet. Das Gericht, das tatsächlich nur aus einigen geschmorten Fleischstücken mit etwas Sauce, Koriander und gehackten Zwiebeln sowie Tortillafladen besteht, war lecker, wenn auch nicht so aromatisch wie ich es in Erinnerung hatte (und kein Vergleich mit der Version, die wir 2015 in Mexiko gegessen haben und von der wir auch heute noch mit sabbernden Mündern schwärmen). Von einer Bäckerei haben wir dann noch mexikanisches Gebäck mitgenommen, das immer ein bisschen enttäuschend ist – viel Blätterteig mit Cremefüllung oder trockene, Brötchen-ähnliche Gebilde.

Ein Ausflug nach Downtown stand ebenfalls auf unserer Agenda, denn dort befindet sich uns liebstes chinesisches Restaurant – natürlich in Chinatown. Vor vier Jahren mussten wir jedoch feststellen, dass das Essen nicht mehr so gut war wie in der Vergangenheit, aber wir wollten dem Lokal eine weitere Chance geben und wurden belohnt: Die slippery shrimp, die Spezialität des Hauses, waren wieder vorzüglich, auch die Scharf-Sauer-Suppe und das Hühnchen Kung Pao waren lecker, nur die süßen Auberginen mit Knoblauch kann ich inzwischen besser kochen. Aber die Qualität des Essens hat uns wieder mit dem Restaurant versöhnt.

Downtown wirkte noch verlassener als vor der Pandemie, seltsamerweise jedoch auch aufgeräumter und sauberer. Vor vier Jahren sah es recht trostlos aus, es gab viele Obdachlose, die in Zelten am Rand der Altstadt campierten und durch die schmuddeligen Straßen mit düsteren Läden irrten. Inzwischen sind die meisten Eingänge zu den Geschäften vernagelt, und es scheint, als hätte die Pandemie mindestens jeden zweiten in die Pleite getrieben. Die Bürgersteige waren wie ausgestorben, nur der Verkehr rollte dicht wie eh und je. Die Obdachlosen sollen immer noch dort sein, zu Gesicht haben wir aber nur sehr wenige bekommen.

Ein Highlight war unser Ausflug nach Disneyland. Dreizehn Jahre lang waren wir nicht mehr hier gewesen, also wurde es Zeit, sich die vielen neuen Attraktionen anzuschauen. Wir sind zusammen mit ein paar Freunden hingefahren, die Jahrestickets besitzen und die man zurecht als Disneyland-Profis bezeichnen kann. Dank ihnen mussten wir auch nichts fürs Parken bezahlen, das mittlerweile auch schon 30 Dollar kostet, sogar 45, wenn man nicht im hintersten Winkel des Parkhauses stehen will, sondern nahe an den Eingängen. Auch die Ticketpreise sind massiv gestiegen, für den Eintritt zu Disneyland und California Adventure mussten wir knapp 200 Dollar pro Person abdrücken, und da wir nicht noch zusätzlich 150 Dollar pro Nase für ein Halloween-Event in California Adventure zahlen wollten, mussten wir den Park bereits um 18 Uhr verlassen. Wenigstens brauchten wir dann auch keine Kostüme, denn es gibt nur weniges, was lächerlicher ist als ein kostümierter Erwachsener in einem Freizeitpark.

Insgesamt waren wir dennoch über zwölf Stunden dort, um möglichst viel zu sehen und zu erleben. Natürlich war es brechend voll, und erstaunlich viele Menschen kamen tatsächlich kostümiert oder zumindest in Disney-T-Shirts. Ein neuerer Trend scheinen Plüschfiguren zu sein, die man an sein Shirt oder Basecap klammern kann: Baby Yoda, Groot oder die Ratte aus Ratatouille sah man am häufigsten.

Doch auch im glücklichsten Ort auf diesem Planeten läuft nicht immer alles rund: Gleich unser erster Ride offenbarte technische Schwierigkeiten, und wir hätten eine halbe Stunde warten müssen, bis die Panne beseitigt war. Überhaupt waren die Wartezeiten, wie es in diesen Parks so üblich ist, extrem lang. Bis zu zwei Stunden anstehen für wenigen Minuten Fahrvergnügen? Muss wohl jeder selbst entscheiden, ob es ihm das wert ist. Zum Glück waren unsere Freunde im Besitz einer speziellen Zugangsberechtigung, durch die wir nie länger als 20 Minuten anstehen mussten. Glück gehabt.

Dadurch konnten wir sämtliche Fahrgeschäfte, die uns interessierten, ausprobieren, vor allem aber die neuen in Star Wars Land. Man muss Disneyland für die Gestaltung dieser Anlage wirklich loben, denn sie haben sich viel Mühe gegeben, alles wie in den Filmen aussehen zu lassen, selbst die Mitarbeiter, die den Müll einsammeln, tragen noch Kostüme und schieben einen futuristischen Karren, auf dem ein Roboter hockt. Wir waren auch kurz in der Cantina von Tattooine, einer Bar, die ziemlich authentisch wirkte (bis auf den DJ-Roboter anstelle der Band).

Das Highlight war für mich jedoch Rise of the Resistance, eine Mischung aus einem Ride und einer geführten Tour, bei der der Besucher als Rekrut der Rebellenarmee in Gefangenschaft gerät und wieder befreit wird, inklusive einer wilden Flucht in einem gesteuerten Gefährt ähnlich einem Autoscooter. Beeindruckend sind auch die neuen animatronischen Puppen, deren Bewegungsapparat erschreckend realistisch geworden ist, sowie der Detailreichtum, der bei der Ausstattung an den Tag gelegt wurde und bisweilen den Eindruck erweckt, mitten in einer Filmkulisse zu stehen. Für alle Star Wars-Fans ist das sicherlich ein Muss. Der zweite Ride geht sogar noch etwas weiter und lässt den Besucher interagieren, was im Prinzip daraus besteht, während einer simulierten Fahrt verschiedene Knöpfe zu drücken, Schalter umzulegen etc. – macht Spaß, ist aber auch ein bisschen hektisch und nicht so abwechslungsreich.

Den ebenfalls interaktiven Spider-Man-Ride haben wir nicht ausprobiert, weil die Beschreibung uns nicht überzeugt hat – und wir nach einer wilden Achterbahnfahrt ziemlich benommen waren. Überhaupt war der Marvel-Bereich in California Adventure etwas enttäuschend. Sicher, man begegnet sowohl hier wie auch in Disneyland immer wieder den beliebten Figuren, mit denen man sich fotografieren lassen kann, aber alles in allem fehlt es an Einfallsreichtum und dem Sinn für Details. Spaß gemacht hat mir allein der Guardians of the Galaxy-Ride, der früher der Tower of Terror-Ride war und darin besteht, dass man aus großer Höhe in die Tiefe stürzt. Nichts für einen schwachen Magen, aber spaßig, und die kleine Geschichte, die über Einspieler erzählt wird, ist nett gemacht.

Alles in allem war es ein schöner, aber auch ganz schön teurer Tag. Vor allem von Familien hört man immer wieder, dass man keine Chance hat, sein eigenes Essen mitzubringen (einige wenige Picknickplätze gibt es nur außerhalb des Parks), so dass nicht nur die Tickets, sondern auch die anderen Kosten für Essen, Trinken und Souvenirs ordentlich ins Geld gehen. Wir hatten beispielsweise leckere Hot Dogs (in einem Fladenbrot statt in einem Brötchen) für sage und schreibe 14 Dollar das Stück, und eine kleine Suppe im Brot (von Boudin, der Traditionsbäckerei aus San Francisco) schlug immerhin noch mit gut 10 Dollar zu Buche. Da macht der Besucher gelegentlich große Augen, andererseits ist man im Urlaub, da achtet man weniger auf den Geldbeutel (oder die Kalorien), doch man kann sagen: Mickey Mouse ist ein Straßenräuber.

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in Mark G. & Pi Jay in La-La-Land 2022 und verschlagwortet mit , , von Pi Jay. Permanenter Link zum Eintrag.

Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.